Rosszko? Eine neue Organisation der Welt? Mich interessiert das alles nicht. Die Weltkommunity? Wahrscheinlich eine romantische Idee, ich weiss nicht, ich habe mich nie mit solchen Vorstellungen beschäftigt. Unwesentlich. Altmodisch. Ich beschäftige mich mit der Zukunft. Mit den wirklich neuen Möglichkeiten der Medien. Der Bilder, des Tones, der Stimmen, der Bewegung. Der Mensch muss ein neues Bewusstsein entwickeln. Er muss sich aus den Fesseln des Körpers befreien. Das haben alte Propheten und Seher gepredigt, das haben Yogis geübt, ihr ganzes Leben lang, unter grössten Entbehrungen. Mein Weg ist ein ganz anderer. Der Mensch muss sich in seiner Vorstellung von seinem Körper lösen, aber er muss neue Vorstellungen entwickeln, und er muss diese Vorstellungen nicht nur in seinem Geiste üben, sondern er muss sie umsetzen. Wir sind soweit, dass sich diese Vorstellungen umsetzen lassen, man muss die Möglichkeiten nur nutzen.
Meine Spezialität. Ich bin Programmierer. Drei-D. Ich kombiniere Bilder. Filme, Sound. Musik. Stimmen. Mit einer absoluten Präzision. Mein audiovisuelles Programm erlaubt es, beliebige Menschen in beliebige Situationen zu versetzen, insbesondere Menschen, die sich selbst anders erleben, die sich in eine andere Welt versetzen wollen, zum Beispiel in einen existierenden Film. Dazu dient mein dreidimensionaler Scanner, der die Menschen in allen räumlichen Details erfasst und speichert, und mein hochsensibles Lautaufnahmesystem. Es reproduziert nicht nur Stimmen, sondern gibt bestehenden Sprachsequenzen die Stimme anderer Menschen. Damit können sich Anwender des Programmes zum Beispiel in bestehende Filme einbringen, sie können sich als Hauptdarsteller eines Filmes einfügen und sich selbst bei Handlungen zuschauen und zuhören, die sie in der Realität nicht getan haben. Da sie sich aber so leibhaftig sehen und hören, können sie die Szenen so lange und so oft durchspielen und sich in ihr Gedächtnis einprägen, also ob alles wirklich so geschehen wäre.
Das geschieht mit einem Helm, den sich der Mensch auf den Kopf setzt. Damit erlebt er sich visuell und akustisch als aktiver Teil der entsprechenden Szene. Er kann sich und die anderen steuern, aber er kann auch den Mitspielern eigene Leben verleihen; er kann sich verlieben, er kann kämpfen, er kann fliehen, er kann schiessen oder erschossen werden – ganz nach Belieben. Kein Computerspiel. Computerspiele sind alter Käse. Sondern leben. Sich erleben, die Menschen erleben. Der Mensch kann die Menschen neu schaffen, als ob er der Schöpfer wäre – der Schöpfer seiner selbst. Und er kann sich ins Paradies versetzen, oder in die Hölle.
Das heisst Menschen sind vollkommen flexibel. Sie können sich ihre Biographie neu konstruieren, sie können sich so lange in virtuelle Situationen sehen, bis sich ihr Gedächtnis umgewandelt hat und die Szenen zu ihrem Leben gehören. Sie können die Filme speichern und sich von aussen beobachten.
Der Mensch ist nicht mehr an seine Hüllen gebunden. Der Körper wird zu einer Nebensächlichkeit, und der Geist wird frei, sich selbst zu verwirklichen, die ewige Sehnsucht des Menschen. Er kann jede Gestalt, jedes Alter annehmen, jede Rolle spielen, jede Person verkörpern. Die Zeit, Vergangenheit und Zukunft verlieren ihre Bedeutung.
Ich stehe in Verhandlungen. Mit Rosszkos Studios. Aber das reicht mir nicht. Sie bieten mir viel Geld, viel, viel Geld – und scheinen mich trotzdem hinhalten zu wollen. Vermutlich sind sie auch auf der Spur. Wollen mich ausschalten. Konkurrenzieren. Es wird ihnen nicht gelingen. Und ich, ich will mit Rosszko persönlich verhandeln. Rosszko ist mir etwas schuldig: Anerkennung.
Ich? Ich bin der Designer, ja mehr als Designer, ich bin Philosoph. Ich bin Poet. Ich denke mir das neue Leben der Menschen aus. Sie werden spielerischer leben können, sie werden ihre Geschichten erzählen können, sie werden Erlebnisse haben, von denen sie eben noch nur geträumt haben. Die Menschen werden aufhören zu träumen. Das Erleben wird ihre Träume ersetzen.
Die Menschen erträumten sich einst, dass sie einmal nicht arbeiten müssen. Dass sie nur noch Freizeit haben werden. Und Roboter ihre Arbeit verrichten würden. Was für ein Unsinn. Es wird umgekehrt sein. Die Menschen werden immer arbeiten müssen, und sei es, um die Roboter zu überwachen. Und um sie zu konstruieren. Nein, die Menschen werden arbeiten – und die Arbeit als Notwendigkeit betrachten – und sie werden sich auf die Freizeit freuen, denn da erleben sie; sie erleben nur noch, sie brauchen nicht mehr tätig zu sein, oder nur, insofern Tätigkeit Freude ist, Erleben, Spass, Abwechslung, Unterhaltung, Begeisterung.
Sie werden nicht mehr passive Zuschauer von irgendwelchen Filmen sein, sie werden nicht mehr Computer bedienen und langweilige Spiele spielen müssen, nein, sie werden ins Geschehen eingreifen, dank den virtuellen Steuerorganen, die auf ihre verschiedenen Körperbewegungen und ihre Befehle reagieren. Menschen, können so sich selbst in den verschiedensten Szenen erleben, so intensiv und real erleben, dass die Erlebnisse zu ihrer Erfahrung, zu ihrem Schatz gehören. Sie können sich gegenseitig ihre Erlebnisse erzählen, können Geschichten erzählen, die sie selbst arrangiert und erlebt haben – und die wahr sind. Die Menschen werden Regisseure ihres eigenen Lebens – das, was ihr Traum war. Sie werden gleichsam Götter; sie sind nicht mehr ihrem Lebensschicksal unterworfen, sondern gestalten sich ihr eigenes Leben; sie sind nicht mehr dem Pläneschmieden unterworfen, jener zwielichtigen Kunst, die nur Enttäuschungen mit sich bringt, weil die Realität anders aussieht als die Träume. Nein, die Träume werden komponiert und erlebt und erinnert, als Geschehen erinnert.
Natürlich brauchen solche wahr-virtuellen Erlebnisse eine gewisse Übung, auch wenn wir von Seiten der Technik alles daran geben, dass die Elemente und vor allem natürlich die virtuellen Personen, die man sich kaufen kann, auf die kleinsten Regungen aktiv werden, und zwar eben im Sinne des Käufers. Wir bieten kostenlose Tutorials an, denn wir haben feststellen müssen, dass gerade unsichere Menschen eine gewisse anfängliche Scheu haben, sich mit einer virtuellen Prominenz zu treffen, oder umgekehrt, dass sie allzu raue, ja ungehobelte Umgangsformen an den Tag legen und dann die Besonderheiten unserer Erzeugnisse gar nicht richtig geniessen können.
Um das noch etwas genauer auszuführen: Puppen im Stile von irgendwelchen Film- oder Fernseh- oder Modestars gibt es ja schon lange. Der nächste Schritt war, diese Grössen überhaupt in drei Dimensionen darzustellen. Der nächste: Sie zu bewegen. Unsere Errungenschaft. Aber das ist noch nichts im Vergleich zum grössten Projekt, das wir bald ausliefern: Die Bewegung ist nicht irgendwann gefilmt worden, und sie ist auch keine computerisierte, wie wir sie von Games her kennen. Nein. Es werden aus einer Unzahl von Szenen mit dem Star die charakteristischen Bewegungen, ja auch das Reden und die Mimik analysiert und sozusagen zu einem entsprechenden individuellen Verhalten, Sprechen, zu einem Körper- und Gesichtsausdruck zusammengesetzt. Und aus dieser Unzahl von Elementen kann eine virtuelle Lebendigkeit generiert werden – die jederzeit jedem Interessenten zur Verfügung steht.
Menschen werden so nicht nur virtuell multipliziert, sondern erhalten für jede Menge anderer Menschen reale Bedeutung und eine ganz neue Wirklichkeit. Und so stehen unsere Errungenschaften am Ende einer Wandlung des Menschen: Während er früher sich selbst durch sein Tun definierte, durch seine Arbeit, seine Leistungen, so bestimmt er sich heute durch sein Erleben. Der Mensch arbeitet zwar immer noch, aber die Arbeit hat für ihn selbst keine Bedeutung mehr, sie ist minimaler Teil einer grossen Arbeitsmaschine, die alle Bereiche umfasst. Seine Individualität aber gewinnt er ausschliesslich durch sein Erleben. Der Mensch lebt fürderhin, indem er erlebt – ausschliesslich.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie