Rosszko? Er hat eine Riesenaufgabe übernommen: Die umfassende Organisation. Die Zeit der Politik, die Zeit der Streitigkeiten, die Zeit der kleinlichen Rivalitäten unter den Ehrgeizlingen ist zu Ende. Die Menschheit braucht keine Streitigkeiten, keine Kämpfe, keine Kriege mehr. Die Menschheit hat sich zur Kommunity entwickelt. Sie ist auf einer höheren Stufe der Zivilisation angelangt. Rosszko hat sein ganzes Leben dafür eingesetzt, diese Entwicklung zu beschleunigen – oder überhaupt zu ermöglichen, denn er hat sie als erster konsequent durchdacht und anvisiert: Die Organisation der Menschheit, der Kommunity, ausschliesslich an ihren Bedürfnissen auszurichten. Den Menschen das zu bieten, was sie sich wünschen, was sie begehren, wonach sie sich sehnen.
Ich? Ich bin Mathematiker. Genauer: Statistiker. Früh trat ich in die Kommunity ein. Damals trug sie noch gar nicht diesen Namen. Heute gehöre ich zum engsten Ausschuss, der die Bedürfnisse genauestens erforscht. Die Kommunity ist eine wissenschaftlich strukturierte Gemeinschaft. Grundlage ist das Wissen vom Menschen, die Erkenntnis der menschlichen Natur.
Rosszko hat seine Aktivitäten immer schon nach den Erfordernissen der Menschen ausgerichtet, doch sobald seine Unternehmungen grösser geworden waren, musste er die Wissenschaft zu Hilfe nehmen. Also mich. Meine Kunst besteht in der Untersuchung der menschlichen Sehnsüchte. Das Erforschen des tiefsten Innern ganzer Populationen: Was haben Menschen begehrt? Wofür haben sie sich aufgemacht? Wofür sind sie Schlange gestanden? Welches Geld haben sie eingesetzt? Welche Opfer gebracht? Wann? Wo? Unter welchen Umständen? Was gab den Ausschlag für einen Kauf? Für die Ferienreise? Für das Reiseziel? Für die Wahl des Hotels? Für oder gegen das Musikstück, das einer, das viele, das alle hören? Welcher Sender hat welche Zuhörer? Wann? Wie lange? Wie lange hört einer ein Musikstück? Bis zum Ende? Und darüber hinaus? Oder nur zehn Takte?
Alles hochkomplexe Fragen, die aber – erfolgreich gelöst – die Menschen in ihrer Gesamtheit glücklicher machen. Natürlich kann man die Menschen nach ihren Wünschen fragen, und man erhält auch Antworten. Aber Antworten sind nur Antworten. Worte im Wind. Rasch vergessen. Nein: Das Tun der Menschen will gemessen werden – und die Worte der Menschen bilden nur die laute, aber wenig bedeutsame Begleitmusik.
Wir haben mit einfachsten Mitteln angefangen – denjenigen, die ein Markt immer schon möglich machten. Den Absatz beobachten, das Angebot anpassen, die Konkurrenz im Auge behalten. Aber wir waren rasch präziser, erforschten, wer wohin reiste und mit wem. Wie alt und wie kaufkräftig er oder sie war. Was in den Ferien unternommen wurde, welche Souvenirs erstanden und heimgetragen wurden, und zu welchem Preis. Wir sammelten Daten, die wir nutzbar machten, zum Beispiel bei der Wahl der Urlaubsangebote, der Hotels, der Transporteure, der Boutiquen, mit denen wir Rabatte aushandelten. Wir überliessen weniger und weniger dem Zufall. Seither ist viel Zeit vergangen, und unser Wissen und Können ist auf einer ganz anderen Stufe. Wir verstehen bis ins Kleinste die menschliche Seele. Die Freuden und Erwartungen der Leute, ihre Sehnsüchte, ihre geheimsten Wünsche, denn diese drücken sie auf dem Portal aus. Das Portal, der Visuoauditomat – längst dreidimensional und zeitsensitiv – und der Movimeter – der jede Bewegung des Körpers, jeden Befehl der Finger, jeden Schritt der Füsse registriert – sind jedem Mitglied der menschlichen Kommunity vertraut.
Das heisst, die Menschen leben zu grossen Teilen im Portal. Ihr geistiges und emotionales Leben erfüllt sich durch das Portal. Das mag ein wenig übertrieben sein, denn natürlich haben die Menschen ihre persönlichen Kontakte, ihre Beziehungen, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Freunde. Und natürlich lassen sich nicht alle Arbeiten am Portal erledigen. Und auch nicht durch die Roboterchen, von denen man früher viel zu viel erwartet hatte. Nein, wir alle brauchen immer noch unsere Hände, nicht nur für den Movimeter.
Aber durch das Portal und durch das Registrieren unserer feinsten Regungen – auch unsere Augenbewegungen werden ja kontinuierlich aufgezeichnet und ausgewertet – haben wir Menschen uns viel besser kennen gelernt, und wir können unendlich genauer unsere eigenen Wünsche verstehen und sie befriedigen.
Das grösste Verdienst liegt bei Rosszko. Er hat diese Entwicklung von allem Anfang an erkannt und vorangetrieben. Durch ihn ist die Technik, die geistige Intelligenz allen Menschen, der Kommunity also, in ganz neuen Dimensionen dienstbar gemacht worden. Rosszko hat Bedürfnisse und Wünsche des Menschen im Visier gehabt; er hat seine Visionen ausschliesslich danach gerichtet. Seine Unternehmungen, seine virtuelle Kommunity ist nun konsequenterweise zu einer realen Gemeinschaft, zur Rosszkommunity geworden. Und sie wird es bleiben, denn die Menschen, alle Menschen haben sie gesucht und in ihrer höchsten Gefahr gefunden und zur ihrigen gemacht.
Ich? Meine mathematische Begabung und meine Beharrlichkeit haben mich zu Rosszko geführt. Ich gehöre seit längster Zeit zur Kommunity und habe am erfolgreichen Projekt wesentlichsten Anteil gehabt. Ich habe von frühester Zeit an die Chancen der Digitalisierung erkannt. Die Reduktion aller Probleme auf einfache Entscheidungen, auf ja oder nein, auf eins oder null, auf schwarz oder weiss, ist ja schon vor langer Zeit erkannt – und geradezu als eine göttliche Eingebung bezeichnet worden, als Urgrund der Schöpfung. Das ist ja auch vollkommen evident. Die Schöpfung, das Eins, das Eine Ganze, entstand aus dem Nichts, aus dem Null, aus der Leere.
Und genau danach lebe ich auch, beinahe seit jeher. Seit der Kindheit, seit ich als Junge auf die Lösung gekommen bin. Unsicher in meinen Angelegenheiten – so klein sie damals waren – studierte ich jedes Mal die längste Zeit, ja bis in die dunkle Nacht hinein, ob ich dies oder jenes tun sollte, ob ich mit meinem Baukasten einen Turm oder eine Garage bauen, ob ich mein Taschengeld horten oder ausgeben, ob ich diesen oder jenen Weg mit dem Fahrrad zur Schule nehmen solle. Rückblickend bin ich einem eigentlichen Grübelzwang unterworfen gewesen, bis ich entdeckte, dass bei genauem Wägen aller Argumente die Entscheidung immer klar wurde. Die Folge war: Das Grübeln verschwand.
Ich wusste von da an stets, was ich wollte. Von der Wahl der Kaugummimarke bis derjenigen meiner Freunde, von der heimlichen Lektüre verbotener Bücher bis zu den ersten Schritten meiner Karriereplanung. Diese führte mich in die Statistik und Ökonometrie und schliesslich geradewegs zu Rosszko. Das Grübeln wich der Entscheidungsfreudigkeit, und was früher eine Qual war, wurde nun zum grössten Vergnügen: die Wahl aus möglichst vielen Optionen mit möglichst vertrackten Argumenten dafür und dawider.
Rosszkos Portal funktioniert genau so: Den Menschen der Kommunity möglichst viele Optionen zu bieten, möglichst viele Wahlen, denn darin erfüllt sich die grösste aller menschlichen Sehnsüchte, die Sehnsucht nach absoluter Freiheit. Freiheit besteht in der Freiheit der Wahl, in der optimalen Erfüllung aller Wünsche.
Rosszkos Portal bietet dem Menschen ein stets wachsendes Angebot von Erlebnissen, von Gefühlen, Stimmungen, und was macht denn den Menschen und das menschliche Bewusstsein aus, wenn nicht sein stets neues Erleben, der ungehinderte Zugang zu neuen Überraschungen.
Rosszko hat auch die Partnerwahl revolutioniert. Partnersuchende können sich in allen Dimensionen und Körperstellungen hören und sehen bevor, sie ein Date riskieren. Damit erhöht sich nicht nur die Wahrscheinlichkeit der richtigen Wahl, sondern gestaltet sich auch ein Wechsel der Partnerschaft deutlich einfacher. Seit langem ist es ja üblich geworden, dass man nicht mehr das ganze Leben mit der gleichen Partnerin verbringt. Wechselnde Bedürfnisse auch in geschlechtlichen Beziehungen sind die Norm geworden. Ich selbst habe schon seit Anbeginn an der Perfektionierung dieser Wahl gearbeitet, früher natürlich mit bescheidenen technischen Mitteln, das heisst, mit Photos, Fragebogen und Hobbylisten. Auch damals funktionierte das System, und ich habe meine verschiedenen Partnerinnen jeweils durch dieses von mir selbst aufgebaute Programm gefunden.
Auch meine jetzige Partnerschaft ist ideal – wir ergänzen uns gegenseitig. Sweetie ist in der Telekommunity tätig und im Gegensatz zu mir praktisch die ganze Zeit mit dem Flugzeug unterwegs. Bei den heutigen Geschwindigkeiten und dem Visuoaudiomat ist das kein grosses Problem. Wir können sogar gemeinsam an einem Tisch essen, virtuell, einziges Problem ist die Zeitverschiebung, wenn sie frühstückt, esse ich mein Souper, und die Duftkomponente lässt sich im Extremfall ausschalten. Sweetie ist auch weniger eifersüchtig als meine frühere Freundin, die mir schliesslich den Gebrauch des Visuoaudiomaten verbieten wollte. Darüber kam es schliesslich zur Trennung. Mit Sweetie ist das kein Problem. Auch meine beiden Kinder sehe ich regelmässig über den Visuoaudiomaten – sie stammen aus früheren Beziehungen. Sie schlagen etwas aus der Art und haben noch Mühe, Tritt zu fassen, dabei bietet die Kommunity alle Chancen. Aber das wird sich mit der Zeit schon noch geben.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie