Rosszko? Von einer Weltordnung spricht jeder. Überdacht von Rosszko. Wunderbar. Eine militärische Ordnung. Gebildet vom grössten Durcheinander, das je existiert hat. Die Welt – das weiss jeder, der sich einmal mit Physik auseinander gesetzt hat – strebt zum Tod hin. Und Rosszko und das Portal und das Portalnetz und die virtuelle Gemeinschaft hat diesen Prozess beschleunigt.
Das Portal. Was ist das Portal? Das grosse Durcheinander, das grosse Einerlei. Autopneus, Wärmeflaschen, Pflanzendünger, werden ausführlich beschrieben und abgebildet, Kreditangebote, Damenstrumpfhosen, Gruppenreisen auf Kreuzfahrtschiffen zu den unberührten Stränden des Ostens oder Nordens, stundenlange Fussballspiele oder Autorennen, Bierflaschen, die mit denen fremde Menschen anstossen, Heimatklänge, Künstlerphotographien von Nebellandschaften, bebrillte und strahlende Gartenzwerge und Schneewittchen; unsere Augen, unsere Ohren haben sich daran gewöhnt. Wir nehmen alles auf, Musikbruchstücke, Bilderfetzen, Textstrünke, philosophische Weisheiten, zufällig zitiert von irgendwelchen Schreibern, die irgendein Zitat in irgend einer Portalsuchmaschine gefunden haben. Alles. Und alles lassen wir durch unseren Geist ziehen, wahllos, gedankenlos, ziellos, erbarmungslos.
Alles ist wichtig, und nichts ist wichtig. Nur das, was ich gerade sehe und höre, ist wichtig und füllt meinen Geist, und nichts ist wichtig, denn ich vergesse es gleich wieder. Ich werde zu einem Toren, der alles hört und nichts behält. Mein Geist ist ein Sammelsurium von irgendwann Gesehenem und Gehörten, irgendwo vernommenen, von Gesprächskrümeln, ausgefransten Argumenten, die nirgendwohin führen, und gleich ziellos sind meine Begründungen und Überzeugungen, die ich wechsle, weil ich die gestrigen vergessen habe, oder weil sie nicht in den momentanen Kontext passen.
Ich bin heute Veganer, morgen Schlemmer, ich bin zu dick und nehme dauernd ab, ich schaue Sex- und Horrorfilme und bin gegen Pornographie und Gewalt, wenn es darauf ankommt und wenn ich gefragt werde, ich bin ein anständiger Mensch. Zwar nicht gläubig, und doch bete in der Kirche mit, wenn eine Abdankung oder eine Taufe stattfindet, da heisst es irgendetwas mit Versuchung oder nicht Versuchung, genau weiss ich es nicht, denn ich habe nicht aufgepasst, wie sollte ich, es war todlangweilig. Aber ich bete mit und bin dann fromm, denn fromm sein ist eine Haltung, und die kann ich ohne weiteres einnehmen, wenn sie am Platze ist. Natürlich halte ich nichts von all dieser Frömmigkeit und den Frömmlern, die gibt es ja auch, und sind so was von eingeschränkt und eingeengt und mit denen habe ich nichts zu tun, ich bin offen, und das Offenste, was es gibt, ist das Portal, das Rosszkoportal, denn da finde ich immer, was ich brauche, aber dann kommt natürlich auch irgendwelcher Schrott, den ich nicht brauche, das ist halt so, aber das sollte man eigentlich verbieten, die ganze Werbung sollte verboten werden, oder nur dort, wo man sie braucht. Da gehört sie hin.
Die Idee ist ja, dass jeder genau das sehen und hören kann, was er will, und dass er das ganz genau findet, für das hat man die ganzen Maschinen, die Portalgrabmaschinen, die unablässig das ganz Material durchsuchen, und eigentlich sollte jeder eine eigene Suchmaschine haben, eine ganz eigene, und es heisst ja, Rosszko sei an der Entwicklung einer solchen Maschine, die jeder selbst am Portal ansetzen kann.
Dann hätten wir nicht ein solches Durcheinander, wie ich es manchmal habe, und ich weiss nicht, ob das Durcheinander absichtlich gemacht wird, um uns dumm zu halten, könnte ja sein. Aber vielleicht hat das Ganze einen Sinn, einen verborgenen Sinn, vielleicht entdeckt den niemand, oder nur ich, weil ich besonders clever bin – darum schreibe ich ja hier auch.
Und hier könnte auch wieder das Durcheinander kommen, all die, nein, ich kann nicht sagen, Eindrücke, oder doch, weil all das sich in meinen Kopf drückt, und mein Geistiges ausmacht. Vom Geistigen haben ich einmal etwas gehört, darum erwähne ich es auch, es gibt zwar Leute, die meinen das Geistige gebe es nur bei besonders Intelligenten, aber wer wird denn das genau bestimmen können, ich habe auch einmal einen Test im Portal gemacht und ich war supergut, so war es jedenfalls angezeichnet und ich konnte das Resultat speichern. Brauche es aber nicht mehr.
Aber im Grunde ist es eine grossartige, Obersupersache, das Herumreisen im Portal, das man früher Surfen genannt hat, unser heutiges Schweben, und Schweben ist das bessere Wort, denn eigentlich schweben wir alle in einer wunderbaren Welt der Phantasie, die wir nicht selbst bauen müssen, sondern in die wir jederzeit eintauchen können. Und die Welt ist voller Überraschungen, und ich kann mir tagelang alles vorspielen lassen, in allen Dimensionen von Räumen und Zeiten, denn es ist ein Spiel, ein wunderbares Spiel für meine Sinne.
Ich weiss natürlich, dass es nicht einfach Rosszko ist, der diese Welt aufbaut, sondern dass dahinter Millionen und Abermillionen von Menschen stecken, mit ihrer Technik und Phantasie. Aber es brauchte Rosszko, der das alles in eine Ordnung gebracht hat, in eine einzige Ordnung, denn das wollen wir alle: eine einzige grossartige Ordnung, nicht Tausenderlei Ordnungen.
Ich? Ich weiss, dass ich ein jedermann bin, und darüber kann keiner schreiben, denn jeder hält sich für etwas Besonderes und nur die anderen sind Jedermänner. Ein schöner Begriff zumindest.
Aber wir sind eben daran, und so schreiben wir einfach weiter. Ich bin derjenige, der herumsuchen kann, und das konnte ich schon, als es nur Zeitungen und Zeitschriften gab, denn auch dort ist alles kunterbunt gemischt, schöne Frauen und Terrorszenen, begehrenswerte Autos und Ferienreisen. Man kann sich auf einer Seite aufregen, ob der Dummheit oder Schlechtigkeit der Welt, und auf der nächsten erfreuen an den Kostbarkeiten, oder doch auch aufregen, weil sie zu teuer sind, als dass ich sie mir leisten könnte.
Ich kann an jedem Feierabend mich ergötzen und aufregen und ergeilen und spotten und zustimmen und ablehnen, ich kann meine ganze Gefühlswelt durchspielen, im Allgemeinen ohne grosse Reaktionen nach aussen zu zeigen. Ich kann mich dabei also gleichzeitig aufregen und entspannen, denn ich tue das ja alles in der Freizeit, habe genügend Zeit dazu, wir leben getrennt, meine Frau und ich, und ich sehe die beiden Kinder nur jedes zweite Wochenende, also habe ich vollkommen genügend Zeit, und auch genügend Abwechslung, denn das Portal liefert sie mir.
Ich kann ein irgendwer sein, ein Subjekt ohne spezifischen Inhalt, jedenfalls nicht für andere Menschen, darum schreibe ich hier doch meinen Eintrag, bin aber sonst nicht fassbar, will es auch nicht sein, denn sonst müsste ich für alles, was ich sage haften, und das will ich keinesfalls.
Und auch das ist Unsinn, wir all schreiben irgendwo unser Meinung hin, und keiner braucht dafür zu haften. Es ist einfach seine Meinung, und jeder hält seine Meinung für hochwichtig, er hält sie sogar – schlimmstenfalls – für die richtige Meinung, ich übrigens auch, denn ich habe doch Erfahrung im Leben und bin verständig, also ist meine Meinung die richtige. Und ich könnte sogar sagen, dass das der grosse Gegensatz ist: Ein ungeheures Durcheinander herrscht im Portal, man kann alles abrufen, alles hören und lesen und sehen, doch ich bei mir selbst habe klare Ordnung, ich habe den Durchblick, mein Verstand ist klar und in den Foren – selten beteilige ich mich daran – behalte ich die Oberhand
Ich kann jederzeit die schrecklichsten Horrorszenen mit Schiessereien in überfüllten Discos, mit Psychoquälereien zwischen Ehepaaren oder sadistische Monster bei der Misshandlung von Gefangenen mir zu Gemüte führen, und mein Gewissen bleibt gleich rein wie zuvor, denn ich habe all das ja weder selbst begangen noch filmisch inszeniert. Meine Seele bleibt klar und rein und die Schweinehunde sind die anderen.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie