Rosszko? Ich bin Rosszkos Schönheit. Der Inbegriff der schönen Frau. Ich ziere jede Werbung, jedes Paar Schuhe, jeden Morgenmantel, jede Sonnenbrille, ich verschönere jedermann jeden Tag. Mein Lächeln strahlt von frühmorgens bis in die Nacht; ich begleite den Gang des Menschen, ja der Menschheit, und mich sieht man in den schwärzesten und weissesten Kontinenten, ich gleiche niemandem, nur mir selbst, bin immer mich selbst; ich bin eine Göttin, unendlich mächtig, ich lebe ewig, wenigstens so lange es Menschen gibt, die mir ähnlich sind – auch wenn sie nie an mich heranreichen.
Stets bin ich heiter, zufrieden, vielleicht gar glücklich, denn ich verkörpere, oder besser, vergeistige das Glück, ich bin zwar ein körperliches Wesen, aber doch ein geistiges Produkt, ich wirke auf die Geister der Menschen und nicht so sehr auf deren Körper, bin damit eine widersprüchliche Gestalt. Ich bin so schön, und so göttlich, so belangreich, dass ich täglich angebetet werde, zu des Menschen liebsten Stunden, nämlich in denjenigen, die sie ihre Freizeit nennen, und dann bin ich auch wieder so alltäglich, so belanglos, so normal – denn ich bilde ihre Norm, die Norm, die sie gern erreichen möchten, die sie aber nie und nimmer erreichen, denn ich bin eine Göttin und sie sind nur normale Menschen – ich bin so normal, dass ich nur mit kurzen Blicken gewürdigt werde, ja die Menschen rühmen sich ab und zu – was mich betrübt, wenn nicht gar beleidigt – mich gar nicht, nie und nimmer wahrzunehmen, sie würden sich ausdrücklich nie Werbung oder Reklame oder Anzeigen anschauen, sie würden sich nie von mir beeinflussen lassen, von mir, die ich doch ihre Schönheit bin.
Ich gehöre zu Rosszkos Welt; ich mache sogar den grössten Teil seiner geistigen Welt aus. Rosszko ist sich dessen vollkommen bewusst, sein Erfolg beruht auf der Einsicht in meine Macht. Nicht nur in die meinige, das weiss ich selbst, und ich bin auch nicht eifersüchtig auf meine Schwestern, wie sollte ich, ich schätze sie, ja liebe sie über alles, die Tüchtigkeit, die Beharrlichkeit, die Tapferkeit, die Mässigung. Sie sind alle – leider, muss ich sagen – viel blasser als ich, ja ihre Stärke liegt in ihrem blassen Wesen, darum finden sie nur einen schattigen Platz in Rosszkos Welt. Ich weiss, dass ich sie nötig habe, meine Schwestern, denn ohne sie bin ich nichts. Es braucht all ihre Kraft, um mich so darzustellen, wie ich bin, um mich göttlich, bildhaft göttlich zu gestalten.
Das mögen die Menschen natürlich nicht erkennen und noch weniger glauben. Sie wollen mich leichtfüssig sehen, beschwingt, wie zufällig vorbeiflatternd, dabei stecken hinter mir alle Künste meiner Schwestern. Doch die Mühsale aller Künste wollen sie nicht sehen, die Menschen, sie wollen unterhalten werden und wollen an eine Welt glauben, in der alles ohne Schwere und Beschwernis von sich geht – Rosszkos Welt. Rosszkos träumerische Welt, die sich nun anschickt, die wirkliche Welt zu beherrschen.
Wer weiss, vielleicht gelingt es ihr – und vielleicht ist es nur ein Traum, ein göttlicher Traum.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie