Rosszko? Ja, natürlich. Ich arbeitete in Rosszkos Studios. Zu den Zeiten, als Rosszko noch Studios hatte. Rosszko. Oder seine Kommunity. TV. Ich habe da einiges aufgebaut. Rosszko ist offen für Ideen. Vor allem, wenn sie produktiv sind, wenn sie höhere Ziele haben, umfassendere Ziele, wenn sie verschiedene Ziele integrieren. Produktiv integrieren, und darum bin ich auch Produzent. Chefproduzent.
Wir begannen mit Serien, seinerzeit, wir waren ein kleines Studio, wie es viele gegeben hat. Unabhängig. Ich hatte etwas Geld, lächerlich wenig; mein Vater schoss einiges dazu, und wir wagten die erste Staffel. Das städtische TV übernahm sie. Sie wurde ein Erfolg. Kriminalgeschichten im Warenhaus. Gut überblickbar und trotzdem voller Abwechslung und Überraschungen.
Die Location inszenierten wir mit altem Ramsch und Ladenhütern aller Art in einer Lagerüberbauung. Das gab dem Ganzen einen nostalgischen Touch. So waren wir anfänglich unabhängig von einer Warenhauskette, das heisst, wir konnten bei jeder neuen Staffel – wir waren so erfolgreich, dass weitere TV-Kanäle nachzogen – mit den Unternehmen ums Sponsoring verhandeln. Sponsoring heisst, die Produkte, die in den Szenen im Vordergrund herumstanden, mussten von der jeweiligen Firma stammen.
Das war natürlich nur am Anfang so. Als wir fest im Sattel sassen, filmten wir auch direkt in den Warenhäusern. Ja wir kombinierten einzelne Filme mit einem Wettbewerb; die Zuschauer mussten herausfinden, wo gedreht worden war und natürlich, wo man das Produkt kaufen konnte. Das förderte den Umsatz – und unsere Tantiemen.
Unsere Filme wurden ein Renner, und wir mussten darauf achten, dass die Story jeweils nicht darunter litt, denn im Geschäft ist nichts so zu fürchten wie Behaglichkeit und Einbildung. Immer wenn man meint, alles laufe bestens, bricht der Markt zusammen. Immer. Aber wir hatten ein feines Näschen und wussten, wann sich eine Idee totgelaufen hat und zu entsorgen war.
Mein eigener Beitrag: Ich sehe die Chancen. Ich spaziere durch eine Welt voller Chancen – wie Rosszko. Das verbindet uns beide – neben dem Geschäftlichen. Ich sehe tausend Chancen am Tag, an denen tausend Menschen blind und achtlos vorbeihetzen. Ich wundere mich immer darüber, dass die Menschen nur das sehen, was man ihnen vorsetzt. Sie sehen nichts mit eigenen Augen, hören nichts mit eigenen Ohren, sondern nur das, was ihnen hübsch verpackt serviert wird. Mein Erfolgsrezept, das ich hier nur preisgebe, weil ich eben daran bin, mich zurückzuziehen. Das dauernde Herumreisen hat mich – was mich selbst wundert – müde gemacht. Ich werde sesshaft – auf meine alten Tage.
Immer habe ich die Chancen gesehen – vor allem die Chancen, die in den Menschen stecken. Ich stamme aus einer Gegend, in der es von Künstlern wimmelt. Sie sammeln sich hier und stellen Kinder auf die Welt, die wieder Künstler sind. Schauspieler, Zeichner, Maler, Musiker, Komponisten, Texter, Schriftsteller, Dichter, selbst Propheten und Visionäre tummeln sich hier zuhauf. Sie treffen sich in Klubs und träumen von ihren Auftritten. Das heisst, meine Chance, meine Aufgabe bestand darin, die richtigen zusammenzusuchen und uns dienstbar machen.
Das ist eine kreative Arbeit – wahrscheinlich die kreativste von allen. Natürlich hält mich niemand für kreativ, dafür fürchten mich alle – und von allen werde ich verachtet. Denn sie halten mich für einen künstlerischen Dummkopf, der das Geld der Produktion hortet und nur in kleinen Dosen verteilt.
Ich lasse sie in ihrem Glauben, denn so habe ich freiere Hand. Allerdings muss ich sie jeweils als Erstes von ihrer Einbildung befreien, denn eingebildete Künstler sind schlechte Künstler. Sie müssen erst leiden, unter ihrer Mittelmässigkeit, unter ihrer Verkennung, unter ihrer Austauschbarkeit, und erst wenn alles richtig schmerzt, beginnen sie zu arbeiten. Das fängt bei den Schreibern an. Sie reden am liebsten von ihren Projekten, denn das Schreiben ist eine mühselige Angelegenheit und von niemandem erhalten sie Lob. Von mir auch nicht. Lob macht sie erst recht faul. Zu den Schreiberinnen komme ich noch.
Ich erteile die Aufträge. Ich. Und ich hecke auch die Ideen der neuen Staffeln aus. Die Schreiber sind dazu da, diese Ideen umzusetzen, in Drehbücher von geeigneter Länge. Zusammen mit der Werbung ergibt das eine bequeme Sendestunde. Ich kenne sie natürlich längst und weiss um ihre Stärken und Schwächen. Sie haben ungeheure Stärken, allerdings wissen sie meist nichts damit anzufangen und so benötigen sie mich. Ich forme sie – so wie sie ihre Texte formen. Sie müssen sich der Idee unterziehen, meiner Idee.
Das gelingt nur unter Druck. Die Menschen arbeiten nur unter Druck. Ich korrigiere ihre Texte, während ich die geeigneten Schauspieler – auf die gleiche Art – aussuche. Sie müssen zueinander passen, und sie müssen zu den Zuschauern passen. Das heisst, ihre grosse Kunst besteht darin, charaktervoll zu wirken und doch austauschbar zu sein, denn die Zuschauer wollen sich ja im Geiste an ihre Stelle verpflanzen. Hinzu kommen die Musikschreiber, die Filmorchester, die Regisseure und Kameramänner. Die Beleuchter und Kabelträger, die Verpflegung und all die hundert Helfer, kleinste Künstler in meiner Hand.
Filmen ist ein geistiges Geschäft und das Geistige verkörpere ich. Ich bin der eigentliche Komponist der künstlerischen Werke. Wir hatten Erfolg – ich erwähnte es schon – und ich strebte nach Neuem. Wer den Erfolg nicht umsetzt, hat verloren. Er wird von der Bühne gefegt, denn die Menschen verlangen nach der Überraschung, und das heisst, das Gewohnte in neuem Gewande. Unsere Filme wurden synchronisiert und weit herum gesendet. Hier geschehen die meisten Fehler. Die Produzenten kümmern sich nicht um die Synchronisation. Sie geben sich zu früh zufrieden. Ich kümmerte mich. Ich besuchte die Studios und wählte die richtigen Stimmen, die passenden Stimmen. Ich bin ein Perfektionist. Und war doch nicht zufrieden.
Denn in den verschiedenen Ländern – damals gab es noch Länder – sah es verschieden aus, die Leute redeten verschieden, flirteten verschieden, stritten sich verschieden. Das heisst, ich wollte die Filme nochmals produzieren. Nochmals schreiben, nochmals drehen. Natürlich bedeutete das mehr Aufwand, mehr Kosten. Aber die Aufmerksamkeit war viel grösser und die Filme fanden eine riesige Popularität, zumal ja neue Werbesponsoren gewonnen werden konnten. So fassten wir Fuss in allen grossen Filmzentren der Welt und konnten ein eigentliches Serien-Imperium auf die Beine stellen: Kommundo-Serials.
Wir haben die Serien auf ein ganz neues Fundament gestellt – und unseren Beitrag zur Einheitlichkeit der Kommunity geleistet. In der gesamten Kommunity sollen überall die gleichen TV-Serien gesehen werden können. Zeitgleich. Inhaltsgleich – aber mit dem gewünschten und beliebten Lokalkolorit. Die Zuschauer sollen sich heimisch fühlen – heimisch in ihrer Weltgegend und heimisch in der Kommunity. Sie sollen sich identifizieren können mit all den Helden; sie sollen im Geiste mitlieben und mitkämpfen können, mitleiden, mitlachen, mitsingen.
Wir haben unzähligen Textern, Schauspielern, Kameraleuten Chancen gegeben, die sie ohne uns nie gehabt hätten. Wir haben eine der grossen globalen Medienindustrien aufgebaut und beschäftigen weltweit Abertausende von Künstlern aller Art. Eine immense Aufgabe. Die richtigen Leute zu finden. Die Nadeln im Heuhaufen. Die Nadeln in unzähligen Heuhaufen. Die begabten Leute, die motivierten Leute, die Leute, die etwas aus ihrem Leben – und der Kunst – machen wollen.
Eine grosse Schwierigkeit – man kann es sich vorstellen – ist die Suche nach den richtigen Schauspielerinnen. Jede Frau will Filmstar werden. Heimlich. Entsprechend aufdringlich sind sie alle, die in die Branche steigen. Sie tun so, als ob sie eine Ausbildung hätten. Vergebliche Mühe. Sie brauchen keine Ausbildung. Was sie brauchen, bringen wir ihnen bei. Wir. Sie müssen sich in die Serien einleben – das einzige, was sie tun müssen. Sie müssen Teil der Staffel werden, sie müssen sich in die Texte arbeiten, sie müssen durch die Drehbücher ihre Leben verwirklichen. Eine grosse Arbeit, welche die wenigsten zu übernehmen bereit sind.
Aber ich habe immer ein gutes Auge und eine glückliche Hand gehabt: meine Begabung – besser hätte ich gesagt, mein Zauber. Frauen müssen von der intimen Seite her entdeckt werden – ich will es einmal so ausdrücken. Frauen geben sich aufdringlich – und sind zu allem bereit. Wenn es ihren Zielen dient. Und ihr Ziel besteht darin, ins Rampenlicht kommen. Die Bühne zu beherrschen.
Im Grunde sind alle Frauen herrschsüchtig. Von Natur aus. Eine Untugend, die man ihnen austreiben muss. Man muss sie zähmen – damit sie Räson annehmen und überhaupt in der Lage sind, etwas Nützliches auf die Beine zu stellen. Nützlich für die Kommunity. Nützlich für die Kommundo-Serials. Sie locken mit erotischen Verheissungen, die Frauen, denen ein Mann wie ich schwer widerstehen kann, dabei ist ihnen die Erotik egal – was die meisten Männer nicht kapiert haben. Ihr Pech. Männer lassen sich verstricken in irgendwelche Abenteuer, lassen sich leicht einfangen und ihrerseits zähmen, dabei ist es die Frau, die gezähmt werden muss. Nach meiner Meinung und Erfahrung.
Viel mühsamer und umständlicher als die Schauspielerinnen – die immerhin leicht zu durchschauen sind – gebärden sich die Texterinnen. Die Schriftstellerinnen. Die Autorinnen, die grosse Romane zu schreiben vorgeben. Grosse Drehbücher. Grosse Gedichte. Zarte Wesen sind es, schwer zu finden, denn sie verstecken sich in wenig besuchten Cafés, in Museumsnischen, in leeren Kirchen; sie suchen Eingebungen, Gefühle, Ahnungen.
Ihnen muss klar gemacht werden, dass sie nicht Phantasmen nachzusinnen brauchen, sondern dass sie sich einzubringen haben in die weltumspannenden Filme, in die Werke, die schon existieren und die auf ihre sensible Übersetzung warten, auf ihr Sentiment fürs Lokale, fürs Intime. Ihnen galt meine ganze Hingabe, mein Verlangen, meine männliche Magie, und wenn ich eines der zarten Wesen entflammt und für mich selbst und meine Serials gewonnen habe, so bestand darin meine grösste Freude und mein grösster Stolz.
Ich schreibe in der Vergangenheit – denn ich habe mich zurückgezogen. Jahrelang bin ich gereist, jahrelang habe ich sie alle bezaubert, bis ich selbst in einen Bann geriet, in den zartesten und festesten Bann.
Sie, sie hat mich erobert, mich, der ich zuvor alle für mich eroberte. Ihr bin ich erlegen, ihr ganz allein, und sie schreibt ein Buch, ein wirkliches Buch, mein Buch, meinen Roman, den Roman meines Lebens – meines zauberhaftes Lebens.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie